Früher hervorragender Arbeitgeber in nun sehr herausforderndem Umfeld
Gut am Arbeitgeber finde ich
- Zum Teil beeindruckende Kompetenzen, Kollegen, Kunden und Projekte. Wo trifft man schon Leute, die einen Kernreaktor verstehen und modellieren können?
- Vielfach interessante Aufgaben und attraktive persönliche Entwicklungsmöglichkeiten (v.a. auch fachlich, wer sich für Technik begeistern kann).
- Gelebte Mitbestimmung (Betriebsrat) und insgesamt sozial eingestellter, fairer Arbeitgeber. Allerdings kennt diese Fairness bei angenommenen Vorgaben aus der Zentrale Grenzen (z.B. im Fall der Schließung des Standorts Offenbach).
- Im Schnitt ein ganz ordentliches Management auf allen Ebenen (zumindest im Vergleich zu dem, was ich vorher schon mal in einem anderen Großkonzern gesehen habe).
- Trotz eines insgesamt schwierigen Umfelds gibt es nicht wenige Bereiche, die immer noch sehr gut aufgestellt scheinen und auch Geld verdienen.
- Bezahlung nach Tarif IG Metall; es gibt viele (ausschließlich altgediente) Ingenieure, die auch ohne Führungsverantwortung in der Gegend von 100.000 € / Jahr Bruttogehalt liegen.
- Die Firma wird so schnell nicht pleite gehen; im Vergleich zu anderen denkbaren Mutterfirmen kann man der französischen Mutter nicht mangelnde Geduld mit der deutschen Tochter vorwerfen.
Schlecht am Arbeitgeber finde ich
- Tätigkeit in einer Branche, die nach jetzigem Ermessen kaum Zukunft in Deutschland haben dürfte - ein Arbeitsplatz bei AREVA in Deutschland ist also zumindest langfristig als unsicher einzustufen.
- Je nach Bereich sehr engmaschiges Controlling und Reporting; teilweise grotesk ineffiziente Prozesse, z.B. bei der Beschaffung von vergleichsweise geringwertigen Gütern. Der Prozess ist auf hohe Beträge und/oder wenige preferred Partner ausgelegt.
- Entwicklungsabteilungen müssen sich für jedes Projekt intern bewerben, d.h. die Vorgesetzten müssen jeweils aktiv Akquise betreiben. Das wird dann zum Problem, wenn, wie aktuell der Fall, die Entwicklungskapazität größer ist also die zu vergebenden Geldmittel und/oder die technologische Ausrichtung der vorhandenen Kapazitäten nicht zum aktuellen Entwicklungsprogramm passt (beispielsweise Software vs. Maschinenbau vs. Bauingenieurwesen). Das führt dann zu folgenden Effekten:
a) Projekte, die aus irgendwelchen Gründen unabdingbar sind, werden so großzügig wie möglich kalkuliert, um für andere Projekte im Idealfall so etwas wie stille Reserven zu schaffen.
b) Die Motivation, Wissen innerhalb der Firma frei verfügbar zu halten sinkt
c) Entwicklungabteilungen müssen z.T. Projektarbeit beispielsweise im Rahmen von Großprojekten leisten, die von einigen Entwicklern als langweilig empfunden wird.
d) Es werden nur Projekte genehmigt, die sich in kurzer Zeit vermeintlich amortisieren. Die Entwicklungsbudgets sind folglich bis an die Grenze der völligen Unmöglichkeit kalkuliert - mit der Hoffnung, nach einer Zeit x schon irgendeine Anschlussfinanzierung zu finden.
- Bei Kundenprojekten herrscht in der Kalkulationsphase wenig Transparenz. Ist der Techniker "ehrlich" und legt alle Risiken auf den Tisch, ist das vom Controller gelegten Angebot so hoch, dass man sicher gegen die Konkurrenz verliert. Die Folge ist mangelnde Auslastung - für jede Arbeitsstunde jedoch wird eine Kontierung benötigt. Werden, wo im Prozess auch immer, Risiken nicht (vollständig) offengelegt, so ist jedes Projekt für das Management ein Roulette-Spiel, weil nicht bekannt ist, welche Risiken da in den Büchern schlummern.
- Bei externen Angeboten muss mit vergleichsweise hohem Stundensatz kalkuliert und angeboten werden, da alle internen Kosten der Kostenstelle auf diesen umgelegt werden müssen. Minderauslastung (direkt oder indirekt durch "Selbstbeschäftigung bzw. interne Projekte" führt natürlich dann zu weiter steigenden Stundensätzen). Gerade im industriellen im Gegensatz zum nuklearen Umfeld fällt dies sehr schwer, weswegen eine Verlagerung der Aktivitäten vom Nuklearmarkt in Richtung eines Industriegeschäfts nur in wenigen Fällen funktionieren dürfte.
- Ausufernde Schatten-IT: Die IT Vorgaben sind mitunter so strikt, dass die Kollegen mit diesen Rahmenbedingungen kaum noch arbeiten können. Das Ergebnis ist dann totaler, langfristig nicht beherrschbarer Wildwuchs, weil sich die Leute z.T. sogar mit Wissen der IT-Abteilung irgendwie selbst helfen (müssen), um das Geschäft am Laufen zu halten. Der arme IT Ansprechpartner vor Ort kann aber in den wenigsten Fällen etwas dafür. Beispielsweise war (zumindest zeitweise) von der IT zur Verfügung gestellter Netzwerkspeicher pro GB und Monat so teuer, dass die Kostenstellenleiter USB-Festplatten beim örtlichen Media-Markt besorgt und ausgegeben haben, was natürlich sämtlichen Regelwerken völlig zuwiderläuft. Nur: Eine pragmatische Lösung, z.B. in Form eines "vernünftigen" lokalen, gespiegelten Storage Systems war verboten und die "offizielle" IT-Lösung hätte das Projektbudget um hohe Beträge gesprengt.
- Die letzten Beförderungen von Führungskräften, die ich noch mitbekommen habe, scheinen von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen insgesamt eher den "braven Verwaltertypen" gegenüber den "Unternehmerpersönlichkeiten" oder gar "technischen Visionären" den Vorzug gegeben zu haben.
- Durch Ausscheiden von vielen älteren Mitarbeitern geht aktuell viel Kerntechnik-Know-How in Deutschland unwiederbringlich verloren. Ein Wissenstransfer auf die jüngere Generation gestaltet sich außerhalb entsprechender Projekte (die es leider kaum noch gibt) naturgemäß sehr schwer.
Trotz allem empfinde ich AREVA im Rahmen der nun einmal begrenzten Möglichkeiten nach wie vor als guten Arbeitgeber! Ich bin dort immer gerne ins Büro gegangen.
Verbesserungsvorschläge
Es gibt keine einfachen Rezepte zur Lösung der Probleme der Firma. Es gibt glücklicherweise immer noch genügend viele mutige und clevere Leute, die einfache Maßnahmen, so es sie denn gäbe, schon längst an geeigneter Stelle vorgetragen hätten. Kurzfristig könnte man allenfalls an den Arbeitsbedingungen (v.a. Großraumbüros) etwas verändern - allerdings bedeuten mehr Quadratmeter natürlich auch höhere Mietkosten, die vermutlich irgendwo genehmigt bzw. verdient werden müssten.
Arbeitsatmosphäre
Die Kernkraftbranche schrumpft in Deutschland. Ohne halbwegs funktionierenden Heimatmarkt und ohne Unterstützung durch die Politik ist die Akquisition von großen Projekten im Kernkraftumfeld sehr schwierig. Die französische Mutter zeigt bislang auch keinerlei Absicht, wichtige Kompetenzen für das Auslandsgeschäft bzw. für das französische Geschäft unbedingt in Deutschland halten zu wollen. Weite Teile der Belegschaft stellen sich daher auf einen andauernden Schrumpfkurs in Deutschland ein, der natürlich auch auf die Arbeitsatmosphäre, insbesondere auch in der Verwaltung drückt. Denkbar ist in diesem Zusammenhang, dass alle Geschäfte nach und nach immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden, wobei jeweils folgende Optionen drohen:
a) Ausgliederung/Verkauf, falls profitabel und nicht zum Kerngeschäft zugeordnet
b) Ausgliederung mit dem Ziel einer relativ baldigen Schließung bzw. Aufgabe von Bereichen in (vermeintlich oder tatsächlich) hoffnungslosen Geschäftsfeldern
c) Sukzessive Know-How-Transfer nach Frankreich durch enge Verzahnung von verschiedenen Einheiten in Deutschland und Frankreich und schließlich Verkleinerung der betroffenen Abteilungen in Deutschland.
Dabei müssen Verwaltung und sonstiger Overhead laufend Kosten reduzieren und Stellen abbauen, wobei stark ins Tagesgeschäft eingreifende Vorgaben aus Frankreich kommen, die oftmals schwer nachvollziehbar sind oder für das deutsche Geschäft als nicht effizient erscheinen.
Von Aufbruchstimmung ist leider im Unterschied von vor einigen Jahren keine Spur mehr erkennbar, es macht sich derzeit mancherorts eine gewisse, eher langfristig orientierte Rat- und Perspektivlosigkeit breit: Reicht es noch bis zu meiner Rente? Das konkrete Tagesgeschäft läuft aber noch in weiten Bereichen "normal".
Kommunikation
Es ist immer leicht zu sagen, die Kommunikation sei schlecht. Auf der einen Seite erfährt man vieles nicht, auf der anderen Seite war ich fast den ganzen Tag in Besprechungen und habe täglich Dutzende von E-Mails erhalten. Meiner Meinung nach hängt Kommunikation stark vom Verhältnis zum Führungspersonal im eigenen Umfeld ab. Es gibt aber relativ wenig "offizielle" Kommunikation vom obersten Management an alle.
Kollegenzusammenhalt
Den Kollegenzusammenhalt habe ich im allgemeinen als gut empfunden, hängt aber natürlich immer von der eigenen Organisationseinheit ab.
Work-Life-Balance
Die Work-Life-Balance ist natürlich stark vom persönlichen Umfeld abhängig. Grundsätzlich, auch bedingt durch die generell etwas gedrückte Stimmung, arbeitet man trotz Vertrauensarbeitszeit nicht wesentlich mehr als vertraglich vereinbart. Das gilt natürlich nicht auf Dienstreisen, insbesondere zu den Kraftwerksbaustellen - diese Stunden können dann aber zu einem späteren Zeitpunkt abgefeiert oder evtl. sogar ausgezahlt werden.
Vorgesetztenverhalten
Es gibt wie überall verschiedene Sorten von Vorgesetzten - von völlig überfordert, über Mitläufer/Verwalter - nicht auffallen wollen um jeden Preis bis zu inspirierend und in jeder Hinsicht vorbildlich. Generell musste ich oft feststellen, dass meine Vorgesetzten ebenfalls verschiedensten Zwängen unterworfen waren, so dass aus meiner Sicht zwar zunächst häufig unglücklich agiert wurde, manche Vorgaben, die zu diesem Verhalten fast zwangsläufig führen mussten aber erst später offenbar wurden. Fakt ist, dass sich AREVA durchaus um seine Führungskräfte bemüht - auf der anderen Seite habe ich aber in den letzten Jahren auch sehr viele, sehr langjährig verdiente Führungskräfte fallen sehen, die unbequem wurden oder (vielleicht gerade wegen der jeweils spezifischen Rahmenbedingungen) nicht erfolgreich genug waren.
Interessante Aufgaben
In der Kernkraftbranche gibt es auch in schwierigen Zeiten immer gerade technisch sehr interessante und herausfordernde Themen. Aufgrund hoher Kosten im Vergleich zu Firmen aus dem Ausland (z.B. Rußland, China, Ukraine) muss man sich immer etwas besonderes einfallen lassen. Nur mitschwimmen reicht oft nicht, aber innovative oder gar revolutionäre Ideen, die mit entsprechenden Umsetzungsrisiken verbunden sind, haben es meist schwer finanziert zu werden. Insofern - interessante Aufgaben: Ja - aber in sehr schwierigem und mit hohen Unsicherheiten belastetem Umfeld. Das äußert sich beispielsweise darin, dass Entwicklungsgelder knapp sind, die Amortisationsdauer eines Projekts nicht zu hoch sein darf und alle paar Monate in Gate-Reviews (neu) überlegt wird, ob weiter in das Projekt investiert werden soll.
Gleichberechtigung
Ich konnte keine systematischen Nachteile für irgendwelche Personengruppen erkennen; Frauen sind in Führungspositionen durchaus zahlreich vertreten. Leider wurde die Firmen-Kinderkrippe vor einiger Zeit geschlossen.
Umgang mit älteren Kollegen
Die meisten der wesentlichen Wissens- und Leistungsträger sind 45+. Reguläre Renteneintritte mit 65+ sind durchaus keine Seltenheit, wenn auch sehr viele von verblockten Altersteilzeitmodellen Gebrauch machen.
Arbeitsbedingungen
Die konkreten Arbeitsbedingungen sind für ein Unternehmen mit dieser Expertise und Bedarf an Spitzenkräften erstaunlich schlecht. Es gibt viele Großraumbüros mit hindurch verlaufendem Gang, Telearbeit wird generell nicht gerne gesehen, das Internet wird stark gefiltert, und die Büroausstattung ist bestenfalls durchschnittlich.
Umwelt-/Sozialbewusstsein
Hinsichtlich Umweltbewußtsein tut man, was man kann. Bei sämtlichen nuklearen Belangen ist man äußerst gewissenhaft. Sozialbewußtsein ist definitiv stark ausgeprägt - nur stehen hier natürlich die betrieblichen (=betriebswirtschaftlichen) Interessen oftmals im Widerspruch zu den sozialen Interessen - und das vor dem Hintergrund, dass Verluste geschrieben werden, für die letztendlich der französische Steuerzahler gerade steht.
Gehalt/Sozialleistungen
Gerade die älteren Kollegen leben immer noch in einem paradiesischen Umfeld (die Firma ist auch noch im Arbeitgeberverband). Langjährig verdiente Ingenieure ohne Führungsverantwortung sind häufig nach IG Metall ERA EG 12B, z.T. noch mit außertariflichen Zulagen eingruppiert oder sogar außertariflich bezahlt und mit attraktiver betrieblicher Altersvorsorge ausgestattet. Leider wurden die Gehaltssteigerungen außerhalb der gewerkschaftlichen Tariferhöhungen in den letzten Jahren praktisch auf Null zurückgefahren. Im Gegenteil, viele 40h-Verträge wurden in den letzten Monaten mit entsprechender Gehaltseinbuße in 35h-Verträge umgewandelt. Insofern ist im Durchschnitt der Firma betrachtet das Gehaltsniveau außerordentlich hoch, betrachtet man jedoch nur die Mitarbeiter, die in den letzten 5-10 Jahren eingestellt wurden, so sieht das Bild nicht mehr so rosig aus.
Image
Das Image in der Gesellschaft ist außerhalb des sehr lokalen Firmenumfelds miserabel. In der Branche reicht der Ruf je nach Bereich und Produktgruppe von durchschnittlich bis hervorragend. Bei vielen Produkten müsste in die Weiterentwicklung investiert werden, aufgrund eines wegbrechenden Marktes scheint sich das jedoch nicht mehr zu lohnen. Außerdem ist die Kernkraftbranche eine sehr konservative Branche mit sehr langwierigen Zulassungsprozessen, weswegen die heute verbaute Technik z.B. im Computer- und Elektronikbereich in sicherheitskritischen Funktionen schon Jahrzehnte auf dem Markt ist. Deswegen muss die Technik jedoch keineswegs schlecht sein.
Karriere/Weiterbildung
Generell ist das Karriereumfeld derzeit schlecht, da es zum einen relativ wenige Posten zu besetzen gibt und zum anderen bedingt durch eine Matrix-Organisation eher die Zentrale in Frankreich gestärkt wird. Je nach persönlichem Umfeld (Können, Glück, Beziehungen) sind aber auch in diesen Zeiten durchaus ansehnliche Karrieren möglich, wenn auch nicht sehr häufig. Weiterbildung existiert, die Budgets dafür sind aber je nach Bereich knapp bemessen - eine (teure) Weiterbildung muss also gut begründet werden.