Spätrömische Dekadenz und generelle Planlosigkeit in Formvollendung
Gut am Arbeitgeber finde ich
Mich belustigt die kindliche Naivität der Verantwortlichen hier, die aus Mailand und Übersee getrieben glauben, unseren unzähligen Problemen durch inflationäre Pöstchenverteilung Herr werden zu können. Insbesondere das Auswahlverfahren für potenzielle Führungskräfte, welches Bienenkneten und Bildermalen inkludiert, hat für manchen Schenkelklopfer gesorgt. Wäre die eigene Existenz nicht abhängig vom Fortbestand der Matricel GmbH, dann - aber wirklich nur dann - könnte man durchaus Tränen lachen.
Arbeitsatmosphäre
Aus meiner Erfahrung wird die Atmosphäre im Produktionsbereich und mitunter auch darüber hinaus maßgeblich durch Intrigen, Manipulation, Missgunst und Grüppchenbildung geprägt. Das ein derart giftiges Milieu kultiviert werden konnte, ist mMn vorrangig das Ergebnis des Unvermögens oder Unwillens der Geschäftsleitung, jenen Seilschaften und deren Unterstützern beizukommen, welche hier seit Jahr und Tag weitestgehend ungestört Agitation betreiben.
Kommunikation
Kommunikation von oben nach unten wird unregelmäßig praktiziert, wenn dann aber gerne in Form von Town Hall Meetings. Inzwischen mit reichlich US-typischem Pathos einschließlich ausgiebiger Selbstbeweihräucherung und der obligatorischen Huldigung der konzerneigenen CIRCLe Values. Überhaupt wirkt dieses unaufhörliche CIRCLe Mantra äußerst verstörend und lässt sich in Anbetracht des Wirkens von Envista (Konzernmutter) hier in jüngerer Zeit auch sinnvoll als Countless Incorrigibles Ruin Companies Laid-back übersetzen.
Kollegenzusammenhalt
Auf Kollegenzusammenhalt trifft man höchstens innerhalb der jeweiligen Cliquen und selbst dort wird gelegentlich noch untereinander intrigiert. Nur Loyalität findet man noch seltener vor und so kommen immer wieder mal neue spannende Allianzen auch unter ehemaligen Todfeind*innen zustande, wenn es gerade opportun erscheint und der eigenen Sache dient, die allerdings selten mit produktiver Werktätigkeit zu tun hat.
Work-Life-Balance
Von Überstunden und Wochenendarbeit ist man aktuell Lichtjahre entfernt und wer die Freizeit bevorzugt etwas großzügiger bemessen möchte, kommt ohnehin voll auf seine Kosten: eine monumental großzügige Karenztageregelung ermöglicht nahezu unlimitiertes Blaumachen. Gerade fantasielosen Krankfeierwilligen bleiben so die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht dem Onkel Doktor gegenüber erspart. Auch reguläre Krankschreibungen von beliebiger Dauer und Anzahl werden beinahe anstandslos geduldet. Unnötig zu erwähnen, dass diese Angebote allgemein gerne und häufig zulasten der Leistungsträger in Anspruch genommen werden.
Vorgesetztenverhalten
Das Vorgesetztenverhalten orientiert sich zwangsläufig am laschen Führungsstil der Geschäftsführung und lässt sich trefflich als Laissez-fair-Pädagogik beschreiben. Wer sich grundsätzlich schwer tut mit Anerkennung von Autorität, klaren Ansagen, Einhaltung von simpelsten gemeingültigen Regeln zwischenmenschlichen Zusammenarbeitens oder der Gefahr selbst bei schwersten Verstößen gekündigt zu werden, ist bei Do-What-You-Wantricel bestens aufgehoben. Auch nach reiflichster Überlegung habe ich fiktiv nichts konstruieren können, von dem ich nach umfangreichen Erlebnissen hier glaube, dass es im Schoße von Envista zu einer außerordentlichen Kündigung führen dürfte. Und diese Erlebnisse beinhalten wahrlich Vorgänge, welche in jeder Hinsicht regelmäßig die Grenzen meiner Vorstellungskraft sprengen.
Interessante Aufgaben
Wird man lange suchen müssen. Die Herstellung des Volumenprodukts, Barrieremembranen für Anwendungen in der gesteuerten Gewebe- und Knochenregeneration, klingt unheimlich spannend und kompliziert – ist sie aber nicht. Nach meinem Empfinden umfänglich nicht von der Rohstoffgewinnung bis zum Versand des sterilen Produkts. Wer hier ernsthaft behauptet, Tätigkeiten mit hohem Anspruch an Intellekt oder Fingerfertigkeit auszuführen, war vorher Deo-Tester oder Glückskeks-Autor.
Gleichberechtigung
Man gibt sich gerne der Konzernlinie getreu so divers, gleichberechtigt und inkludiert wie irgend möglich. In beträchtlichem Umfang gelingt dies dann tatsächlich auch abgesehen von einer gewaltigen Kluft zwischen den Regeln für das Produktionsteam und den Privilegien aller übrigen Mitarbeiter in dieser Firma. Während der gemeine Befehlsempfänger im Reinraum in seiner persönlichen Entfaltung naturgemäß ziemlich eingeschränkt ist und sogar Toilettengänge sorgsam schriftlich protokollieren muss, erinnert der Rest des Unternehmens mit positiven Ausnahmen an ein sozialistisches Kommunenprojekt anarchistischer Alt-68er. Dieser erlauchte Personenkreis genehmigt sich mit unvergleichlicher Nonchalance voll bezahlte Raucherpausen oder Homeoffice in bisweilen epischem Ausmaß. Das schlussendlich der erste Versuchslauf zur Einführung eines Zeiterfassungssystems ausschließlich der Produktion galt, lässt ebenfalls nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
Arbeitsbedingungen
Im Reinraum selbst branchenüblicher Standard in klimatisiertem Umfeld. Die Arbeitsplatzergonomie ist zufriedenstellend. Äußerst unappetitlich wird es aber, wenn man sich aus Unkenntnis nicht direkt zu Anfang arbeitsvertraglich von der Pflicht zur Arbeit im Schlachthof hat befreien lassen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, unabhängig von Geschlecht, Religion, Alter oder veganem Lebenswandel in den zweifelhaften Genuss zu kommen, dem widerlichen Schweineschlachten in einem regionalen Schlachthof beiwohnen zu dürfen. Wer einmal im Sommer bei 30°C+ in Einweg-Overall, Plastikschürze und Gummistiefel gewandet eine körperlich durchaus fordernde Arbeit vor dem akustischen Hintergrund schreiender Schweine sowie buchstäblich atemberaubender Geruchsbelästigung geleistet hat, beschwert sich garantiert nie wieder über die Arbeitsbedingungen in anderen Firmen.
Umwelt-/Sozialbewusstsein
Matricel macht im eigenen Netzauftritt keinen Hehl aus der porcinen d.h. vom Schwein stammenden Basis seiner Produkte. Somit plaudere ich keine Firmengeheimnisse aus, wenn ich darauf hinweise, dass umwelt-, klima- und tierschutzaffine Menschen sich sehr wohl bewusst sein sollten, dass sie mit einer Tätigkeit für dieses Unternehmen auch der Fleischindustrie und Massentierhaltung Vorschub leisten. Es ist davon auszugehen, dass man seitens Matricel keinerlei Wert auf Demeter oder Biohaltung der verarbeiteten Tiere legt, obwohl es sicherlich möglich wäre. Reine Gewinnorientierung auf Kosten des Tierwohls empfinde ich persönlich als äußerst beschämend und absolut nicht zeitgemäß, zumal man ansonsten keine Gelegenheit auslässt, sich als besonders fortschrittliches Unternehmen zu gerieren.
Gehalt/Sozialleistungen
Mit gutem Grund althergebracht das Dauerthema Nr.1 in der Produktionsbelegschaft. Es bedarf keiner investigativen Meisterleistungen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass hier gemeinhin unter Branchendurchschnitt bezahlt wird. Man muss Matricel jedoch zugutehalten, dass der individuelle Anspruch an die Produktionsmitarbeiter bezüglich Aus- und Vorbildung ebenfalls beträchtlich unter branchenüblichen Einstellungsvoraussetzungen rangieren dürfte. Dessen ungeachtet sollten sich Betriebsleitung und Betriebsrat dennoch einmal ernsthaft fragen, wie es unten wohl ankommt, wenn sich verschiedene Herrschaften aus der Führungsriege Homeoffice in der eigenen Spanienimmobilie gönnen, während mancher weniger solvente Kollege aus den Niederungen der Einkommenshierarchie mühsam das Geld für die ÖPNV-Monatskarte zusammenkratzen muss. Das ließe sich ein Stück weit durch das angebotene Jobrad Leasing über die Firma kompensieren, läuft aber selbstredend vollständig subventionsfrei ab. Immerhin kommt der Zaster stets überpünktlich.
Image
Aufgrund der bemerkenswerten Mitarbeiterfluktuation ist davon auszugehen, dass Matricel sich im Großraum Aachen einen Ruf erarbeitet hat, der nicht so ganz dem Selbstbild entsprechen will. Denn wer hier geht hat selten Gutes zu berichten. Auch die interne Stimmung signalisiert so bald keine Aussicht auf ein Topranking unter den besten Arbeitgebern der Region.
Karriere/Weiterbildung
An der Stelle muss ich tatsächlich eine Lanze für Matricel brechen und konstatieren, dass diese Firma sich absolut beispiellos als unerschöpflicher Quell der Karrierechancen präsentiert. Hier steigen traditionell auch Personen in Führungspositionen auf, die - und ich formuliere nun bewusst mit äußerstem Bedacht - sich andernorts vermutlich ein klitzekleines bisschen schwerer damit tun würden. Abgeschlossenes Studium, Meisterbrief, staatl. gepr. Techniker, Fortbildung zur Führungskraft oder auch nur eine schnöde Berufsausbildung - alles Schmuck am Nachthemd und nicht ansatzweise Grundvoraussetzung, um Rucki Zucki in Personalverantwortung zu kommen. Ob und inwiefern dies Einfluss auf die herrschenden Zustände hat, soll jeder für sich selbst einschätzen.