Tarifverträge? Fehlanzeige. Aber immerhin gibt es Obstbäume.
Gut am Arbeitgeber finde ich
Die Produkte des Unternehmens sind technisch anspruchsvoll und haben großes Potenzial, auch wenn die aktuellen Verkaufszahlen nicht den Prognosen der letzten Jahre entsprechen.
Im neu gebauten Werk 3 hatten Mitarbeiter bei der Gestaltung der Außenanlagen Mitspracherecht, was zu einer positiveren Arbeitsatmosphäre beitrug.
Es gab im letzten Jahr ein Sommerfest, bei dem die Mitarbeiter Gäste einladen durften, sowie Public Viewings während der Fußball-EM, zu denen auch Familienangehörige willkommen waren.
Um die Unternehmensprozesse zu verbessern, wurde ein Mitarbeiter eingestellt, der sich auf Prozessoptimierung spezialisiert hat. Jeder Mitarbeiter kann sich mit Anliegen an ihn wenden. Diese Arbeit bietet aber auf jeden Fall Konflikt- bzw. Eskalationspotenzial, falls die Verbesserungsvorschläge zu stark mit den Interessen der Geschäftsführung kollidieren.
Schlecht am Arbeitgeber finde ich
Seit Februar befindet sich das Unternehmen in Kurzarbeit, was aus meiner Sicht eher finanzielle als arbeitsbedingte Gründe hat. Es wirkt besonders unpassend, dass kurz nach einer besonders opulenten und von der Firma finanzierten Hochzeit des Geschäftsführers Kurzarbeit verkündet wurde.
Es gibt keine durchgehende Möglichkeit für Home-Office, was einige Mitarbeiter dazu bewogen hat, das Unternehmen zu verlassen, da vergleichbare Unternehmen Remote-Arbeit aktiv fördern.
Im Führungskreis gibt es "undichte Stellen", durch die vertrauliche Informationen vorzeitig an die Belegschaft gelangen. Ein solcher Fall betraf beispielsweise die Zukunft des Unternehmens mit dem Übergang des aktuellen Geschäftsführers auf seinen Sohn. Zitat Abteilungsleiter: "Mit dem Übergang agiert das Unternehmen zunehmend kopflos."
Anfragen nach einem Zwischenzeugnis werden gelegentlich genutzt, um den Mitarbeitern zu schaden, was die Chancen bei anderen Arbeitgebern erheblich beeinträchtigen kann.
Ein Fall von sexueller Belästigung wurde unsachgemäß behandelt. Anstatt die Situation diskret oder transparent aufzuklären, kursierten viele Gerüchte, was die Situation verschlimmerte.
Verbesserungsvorschläge
Das Unternehmen sollte ernsthaft erwägen, dem Tarifvertrag der Metallindustrie beizutreten, um in Zukunft wichtige Mitarbeiter halten zu können.
Feedbackgespräche sollten auch im kaufmännischen Bereich eingeführt werden, wie es bereits im technischen Bereich der Fall ist.
Die starke Ehrfurcht vor der Geschäftsführung sollte verringert werden. Kritik am Chef sollte als konstruktives Feedback und nicht als Angriff wahrgenommen werden, da Mitarbeiter häufig besser Einblicke in ihre eigenen Arbeitsbereiche haben.
Die Gründung eines Betriebsrates könnte dazu beitragen, die Interessen der Mitarbeiter besser zu vertreten.
Arbeitsatmosphäre
Die Atmosphäre im Unternehmen ist im Allgemeinen in Ordnung, jedoch ist der "Flurfunk" sehr ausgeprägt. Dies führt oft dazu, dass man Informationen erhält, die entweder vertraulich sein sollten oder zu früh bekannt werden.
Kommunikation
Betriebsversammlungen finden nicht immer regelmäßig statt, dennoch bleibt man über die meisten relevanten Themen informiert. Zum Beispiel nahm ich ab den Sommermonaten jeden Montag an einem Meeting mit fast allen Mitarbeitern der Abteilungen Konstruktion, Auftragssachbearbeitung und Vertrieb teil, in dem laufende und anstehende Projekte besprochen wurden, die besondere Aufmerksamkeit erforderten.
Kollegenzusammenhalt
Mit meinen direkten Kollegen hatte ich kaum nennenswerte Probleme. Es war schnell ersichtlich, an wen man sich bei Fragen wenden konnte. Auch das Abgeben von Aufgaben, wenn die eigenen Kapazitäten erschöpft waren, funktionierte problemlos. Allerdings ist der Zusammenhalt stark von den individuellen Persönlichkeiten abhängig.
Ein besonderes Lob gebühren an dieser Stelle dem stellvertretenden kaufmännischen Leiter und einer Kollegin aus der Buchhaltung die mich während meiner Facharbeit für die IHK-Prüfung maßgeblich unterstützt, begleitet und betreut haben.
Work-Life-Balance
Die Work-Life-Balance entspricht dem Industriestandard. Es gibt eine 40-Stunden-Woche mit Gleitzeit, wobei der Arbeitsbeginn zwischen 6 und 9 Uhr variiert. In meiner Abteilung gab es lediglich die Vorgabe, dass das Büro zwischen 7 und 17 besetzt sein muss. Über die Urlaubsregelungen kann ich mich nicht beschweren, meine Anträge wurden stets genehmigt, auch kurzfristiger Urlaub war möglich. Allerdings war ich die meiste Zeit meiner Tätigkeit als Auszubildender beschäftigt, was diese Situation möglicherweise begünstigt hat.
Vorgesetztenverhalten
Über meinen direkten Vorgesetzten und Ausbilder, den kaufmännischen Leiter, bin ich nach 38 Monaten maßlos enttäuscht. Während meiner Ausbildung zum Industriekaufmann zeigte er kaum Interesse an meinem Fortschritt und erkundigte sich nie nach meinem Ausbildungsstand. Selbst nach bestandener Abschlussprüfung erhielt ich erst mit drei Wochen Verspätung eine Gratulation. Obwohl mir eine Bonuszahlung aufgrund meiner guten bis sehr guten Noten in den IHK-Prüfungen zugesichert wurde, äußerte der kaufmännische Leiter, dass es diese nicht gäbe, wenn er die Entscheidung diesbezüglich treffen würde.
Auch das Verhalten des Produktionsleiters war problematisch. Fachlich ist er kompetent, jedoch mangelt es an zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Kritik oder Probleme wurden selten direkt angesprochen, sondern über Umwege kommuniziert, und auf E-Mails reagierte er entweder gar nicht oder unangemessen. Ähnlich verhielt sich der Abteilungsleiter der Arbeitsvorbereitung in Bezug auf die E-Mail Situation.
Aber es gibt auch Abteilungsleiter, die ordnungsgemäß kommunizieren, die einem mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen und die bei Fragen immer ein offenes Ohr haben.
Interessante Aufgaben
Interessante Aufgaben waren für mich eine Seltenheit. Die meisten meiner Tätigkeiten waren sich wiederholende Standardprozesse, die oft von Kollegen delegiert wurden. Nur selten konnte ich in meiner Ausbildungszeit interessante Projekte als Beobachter begleiten.
Gleichberechtigung
Der Anteil an Frauen im Unternehmen ist sehr gering. Während meiner gesamten Zeit war keine weibliche Person dauerhaft in der Produktion beschäftigt, und auch der Frauenanteil im Büro war sehr niedrig, im Führungskreis gibt es aktuell gar keine weibliche Person, was einen Mangel an Geschlechtervielfalt widerspiegelt.
Umwelt-/Sozialbewusstsein
Zwar wurden einige Unternehmensprozesse digitalisiert, jedoch zweifle ich daran, dass Umweltbewusstsein der ausschlaggebende Faktor war. Vieles läuft noch nach altmodischen Mustern, wie mehrfaches Ausdrucken von Dokumenten, obwohl digitale Alternativen existieren.
Gehalt/Sozialleistungen
Das Gehalt ist enttäuschend. Da das Unternehmen keinem Tarifvertrag angehört, liegen die Löhne zum Teil deutlich unter dem Niveau vergleichbarer Unternehmen, insbesondere solcher im IG-Metall-Tarif. Nach meiner Ausbildung zum Industriekaufmann lag mein Stundenlohn bei 15 €, was in Anbetracht der Branche und Qualifikation nicht angemessen ist.
Image
Das Unternehmen legt großen Wert auf sein äußeres Image, intern jedoch entspricht dies nicht immer der Realität. Die Geschäftsführung fordert, dass alle Mitarbeiter nach ihrer Mission und Vision arbeiten, was zu teils irrationalen und unverständlichen Entscheidungen führt.
Karriere/Weiterbildung
Im kaufmännischen Bereich gibt es nur begrenzte Karrieremöglichkeiten, weshalb ich das Unternehmen verlassen habe. Es werden zwar Weiterbildungen, wie z. B. Studiengänge, auch finanziell, unterstützt, jedoch gibt es im technischen Bereich mehr Aufstiegschancen. Das duale Studium ist allerdings nicht empfehlenswert, da die Studenten als Werkstudenten angestellt sind und somit kein regelmäßiges Einkommen und keinen Urlaubsanspruch haben. Ebenso sind sie dann selbst verantwortlich für ihre Krankenversicherung.