Gute Idee. Unreflektiertes Unternehmen.
Gut am Arbeitgeber finde ich
Ich war mit meinem Gehalt zufrieden. Teilweise war bei einzelnen Executive-Mitgliedern eine Lernkurve zu beobachten. Der Teamzusammenhalt war tlw. gut (wenn auch fragmentiert). Das Büro ist sehr schön. Die Nähe zur Ostsee hat was! Dass Weiterbildungen gefördert wurden, ist für ein Startup nicht selbstverständlich – und deshalb absolut positiv hervorzuheben!
Ich bin letztlich dankbar für die Erfahrung und mein persönliches Learning, dass ein funktionierendes, kooperatives Team und eine gute Unternehmenskultur im alltäglichen Arbeiten mindestens genauso wichtig sind wie ein spannendes Produkt.
Schlecht am Arbeitgeber finde ich
advocado hat meiner Meinung nach Defizite in puncto Unternehmenskultur. Insgesamt empfand ich das Unternehmen als eher “charakterschwach”. Es wurde aber während meiner Zeit bei advocado für mich deutlich, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen von einem “guten” Arbeitgeber haben. Deshalb: Nimm meine Worte nicht für bare Münze, sondern verschaffe dir einen eigenen Eindruck!
Meine Beobachtung ist, dass die Situation in Greifswald eine andere ist als in Metropolen: Ich habe dort bei Arbeitnehmer:innen eine viel niedrigere Toleranzschwelle gesehen (gegenüber Vorgesetztenverhalten z.B.). In Greifswald sind die Jobs vielleicht etwas rarer gesät, sodass man sich eher arrangiert – das ist aber nur meine Interpretation.
Ich wünsche dem Unternehmen, dass es die Kraftanstrengung vollbringen kann, eine gesunde Unternehmenskultur zu kreieren. Ohne diesen Schritt wird es meiner Ansicht nach sehr schwer, ein positives A-Player Team zu formen. Das Produkt hätte es verdient.
Verbesserungsvorschläge
Ein Kicker macht noch keine Unternehmenskultur. Altbackenes Mindset ehrlich reflektieren. Wer als Unternehmen viel von Arbeitnehmer:innen erwartet, darf einen adäquaten Anspruch an sich selbst haben. Haltung definieren und vorleben. Fachliches und persönliches Wachstum in den Fokus rücken.
Meinem Gefühl nach gab es auffällig häufig interne Konflikte zwischen Einzelpersonen, das hat die Arbeit tlw. sehr anstrengend gemacht. Es ging zu häufig nicht um die Sache, sondern ums Ego.
Viel stärker in Management- und Führungsqualitäten investieren. Die eigenen Mitarbeiter:innen zu “Promotern” machen, indem man sich als Arbeitgeber korrekt verhält – auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Was wirklich tragisch ist meiner Meinung nach: Viele “advocados” denken, die Prozesse und Strukturen seien “typisch Startup” (augenscheinliches “Boiling Frog” Phänomen). Der/die ein oder andere könnte es meiner Einschätzung nach in einem reiferen Startup oder Unternehmen mal richtig schwer haben.
Arbeitsatmosphäre
Als ich anfing, gab es meiner Meinung nach recht verkrustete Top-Down Strukturen. In meiner Wahrnehmung war Micro-Management eher die Regel als die Ausnahme. OKRs waren als Konzept nicht mal bekannt.
Gegen Ende besserte sich dies leicht, aber moderne Management-Formen wurden meiner Meinung nach nie implementiert oder (vor)gelebt. Meine persönliche Einschätzung: Wenn du agile Methoden als Selbstverständlichkeit siehst, 1on1s für dich ein “must have” sind und du gerne in einem Unternehmen arbeiten möchtest, das einen modernen Management-Stil pflegt, bist du hier womöglich nicht an der richtigen Adresse. Insgesamt war mein “Learning”, dass Startup nicht gleich Startup ist.
Es ist immer sinnvoll, sich ein eigenes Bild zu machen. Ich biete nur einen Ausschnitt meiner Realität an und erhebe keinen absoluten Wahrheitsanspruch.
Kommunikation
Es gibt sicherlich wenige Unternehmen, die das Thema “Kommunikation” perfekt beherrschen (ich meine die interne Kommunikation). Teilweise war mein Eindruck, dass informelle Kommunikation (Flurfunk) das Vakuum füllte, das durch abwesende Unternehmenskommunikation vorhanden war.
Insbesondere junge Unternehmen tun sich meiner Erfahrung nach manchmal schwer damit, transparent zu kommunizieren. Oftmals verbirgt sich dahinter die Angst, etwas falsch zu machen oder Mitarbeiter:innen zu verunsichern. Manchmal ist es auch ein Ausdruck mangelnder Professionalität – oder einfach fehlende Weitsicht.
Meiner Ansicht nach zahlt es nicht unbedingt auf wahrgenommene Wertschätzung (auf Arbeitnehmerseite) ein, wenn wichtige Entscheidungen oder erwähnenswerte Ereignisse nicht richtig kommuniziert werden.
Kollegenzusammenhalt
Mein Eindruck war nämlich, dass das Unternehmen fragmentiert war. Ich hatte den Eindruck, dass einige Abteilungen sich eher als “Agentur im Unternehmen” sahen.
In einzelnen Kern-Teams gab es aber durchaus einen sehr guten Kolleg:innenzusammenhalt. Und so, wie ich es mitbekommen habe, gab es diesen auch in anderen Abteilungen. Der Unmut gegenüber Unternehmensentscheidungen war bezeichnenderweise wichtiger Kitt für den Teamzusammenhalt – so zumindest mein Eindruck. Es gab meiner Wahrnehmung nach wiederkehrende Konflikte innerhalb des Unternehmens. Das Unternehmen war meiner Einschätzung nach entweder nicht fähig oder nicht willens, diese Konflikte nachhaltig zu lösen.
Den Umgang miteinander habe ich tlw. als “politisch” motiviert wahrgenommen. Wenn Kolleg:innen auf destruktive Art und Weise und auf dem Rücken anderer versuchen, die eigene Stellung im Unternehmen zu manifestieren oder auszubauen, ist das nach meinem Empfinden ein Symptom einer beschädigten Unternehmenskultur.
Es gibt natürlich auch Kolleg:innen, die ich vermisse und die ich sehr geschätzt habe. Einige davon sind mittlerweile allerdings auch freiwillig gegangen.
Work-Life-Balance
Für mich sprechend, kann ich sagen, dass die Work-Life-Balance gut war. Natürlich gibt es in Startups eine gewisse Erwartungshaltung (manchmal implizit angedeutet, manchmal explizit geäußert) , dass Mitarbeiter:innen die “Extrameile” gehen mögen.
Meiner Ansicht nach hatte das Unternehmen eher Nachholbedarf beim Thema “Smart Work”, weniger beim Thema “Hard Work”. Auf mich wurde zumindest zu keinem Zeitpunkt Druck ausgeübt, dass ich länger arbeiten müsste.
Vorgesetztenverhalten
Ähnlich wie beim Thema “Kolleg:innenzusammenhalt” ist es sehr schwer, hier pauschale Aussagen zu treffen. In meiner Wahrnehmung gab es sowohl Fälle ausgezeichneten Vorgesetztenverhaltens als auch eklatantes Mismanagement – bis hin zu unprofessionellem Verhalten.
Meiner Ansicht nach lag dem Fehlverhalten eher Überforderung oder mangelnde Fähigkeiten seitens der Vorgesetzten zugrunde. Meiner Meinung nach würde es das Unternehmen stärken, konsequent in Führungs- und Management-Skills zu investieren.
Manche der ehem. Kolleg:innen (ich auch) empfanden die Atmosphäre als latent “kontrollierend” und “von wenig Vertrauen geprägt”. Ich habe einige meiner ehem. Kolleg:innen als eingeschüchtert (fast verängstigt) wahrgenommen. “Kontrollzwänge” sind ja nicht selten ein Produkt von Projektion – das trifft hier meinem Gefühl nach zu.
Interessante Aufgaben
Den Großteil meiner Aufgaben fand ich interessant. Auch wenn einem die Umsetzung vor dem Hintergrund der Unternehmenskultur in meinen Augen nicht immer einfach gemacht wurde, machten die Aufgaben an sich (handwerklich gesehen) Spaß.
Gleichberechtigung
Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Unternehmen beim Thema “Gleichberechtigung” nicht da ist, wo ein Startup (oder irgendein Unternehmen) im Jahr 2021 sein sollte.
Umgang mit älteren Kollegen
N/A
Arbeitsbedingungen
Die formellen Arbeitsbedingungen waren gut. Schönes, ruhiges Büro. Gute Ausstattung. Neue Technik. Kaffee und Getränke vorhanden. In Corona-Zeiten wurde das Home-Office ermöglicht (wenn auch nicht unbedingt begrüßt).
Umwelt-/Sozialbewusstsein
Mein Eindruck war, dass diese Themen nicht höchste Prio hatten. Ich bin ehrlicherweise aber auch nicht unbedingt in der Position, um hier zu “urteilen” ;)
Gehalt/Sozialleistungen
Ich war mit meinem Gehalt zufrieden. Dies ist sicherlich stark von der Rolle im Unternehmen und dem eigenen Verhandlungsgeschick abhängig.
Image
Meine Einschätzung ist: Manche Mitglieder des Managments haben kein realistisches Bild davon, in welcher Form sowohl Dritte als auch Mitarbeiter:innen (auch aus dem Mgmt) über das eigene Unternehmen und die Kolleg:innen denken.
Es ist wohl kein Zufall, dass es verhältnismäßig viele Ex-advocados gibt, die sich wie “Abtrünnige” behandelt fühlen – und den advocado-Pullover nach dem Ausscheiden eher nicht mehr freiwillig tragen möchten.
Mein Tipp: Einfach mal im Laufe des Bewerbungsverfahrens die zukünftigen Kolleg:innen fragen, was sie gut bzw. weniger gut finden.
Karriere/Weiterbildung
Positiv: Wenn man Interesse an einer Weiterbildung (Kurs, Messe, Workshop etc.) bekundet hat, wurde dies in den allermeisten Fällen gefördert und begrüßt. Es wäre aus Unternehmenssicht vermutlich hilfreich, darauf zu achten, dass wahrgenommene Weiterbildungen einen Mindeststandard an Qualität erfüllen. Stichwort Karriere: Wer einigermaßen fit im eigenen Thema ist, sollte relativ leicht aufsteigen können.