Body-Leasing-Stube mit guter und eifriger PR
Gut am Arbeitgeber finde ich
Die ursprüngliche Idee. Auticon ist angetreten, Autisten gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Ihnen Arbeitsumstände zu schaffen, in denen sie effektiv und erfolgreich arbeiten können, ohne dabei auszubrennen.
Positiv ist hervorzuheben, dass Mitarbeiter bei auticon sehr viele Freiheiten genießen, sei es bei der Arbeits- oder Arbeitszeitgestaltung oder bei der Mitwirkung in firmeninternen Arbeitsgruppen.
Schlecht am Arbeitgeber finde ich
Dass auticon sich von innen sichtbar von der ursprünglichen Vision entfernt hat. Das, was auticon einst ausgemacht hat, insbesondere die Idee der Jobcoaches, wächst nicht im gleichen Maße, wie der Rest der Firma wächst. Jobcoaches zeigen sich häufig überlastet, sodass es ihnen immer schwerer fällt, ihrer Aufgabe nachzukommen. Darunter leiden kurz- bis mittelfristig die Consultants und langfristig der Unternehmenserfolg.
Dadurch schwindet der Unterschied zwischen auticon und anderen Consulting-Unternehmen, die ein höheres Gehalt anbieten.
Verbesserungsvorschläge
Stellt mehr Jobcoaches ein. Bezahlt sie gut. Überlastet sie nicht. Gebt ihnen die Mittel, ihren Consultants tatsächlich zu helfen, statt sie nur auf Spur zu halten.
Etabliert Strukturen in Projektakquise und Projektmanagement, die Projekteinsätze planbarer machen. Die die Fähigkeiten eurer Consultants effektiver einsetzen. Besorgt Projekte für die Consultants und nicht Consultants für die Projekte.
Hört auf eure Consultants. Traut euch, regelmäßig umfangreiches Feedback aus dem gesamten Projekt zu holen. Prüft, ob ihr Möglichkeiten habt, Situationen zu verbessern. Kommuniziert eure Ideen und Ergebnisse offen nach unten.
Schafft euch ein umfangreiches Bild, auch wenn es für den Moment weh tut.
Habt Stolz und Mut. Wenn ein Kunde nicht bereit oder fähig ist, sich an die Bedürfnisse von Autisten anzupassen, ist nicht immer die Lösung, die Consultants an den Kunden anzupassen. Zwar kauft der Kunde bei uns eine Dienstleistung, aber er muss sich selbst in die Lage versetzen, sie auch entgegennehmen zu können.
Manchmal passt es einfach nicht mit einem Kunden oder einer seiner Abteilungen.
Lernt, dass eure Consultants zu eurem Umsatz beitragen und der beste Umsatz langfristig wenig bringt, wenn ihr eure Consultants dafür opfert.
Arbeitsatmosphäre
Die Zeit, die Consultants während Projekteinsätzen mit Tätigkeiten außerhalb von Projekten verbringen, ist sehr begrenzt.
Die Arbeitsatmosphäre hängt damit unmittelbar von Projekt und Kunden ab. In aller Regel gilt: Die Zusammenarbeit mit anderen autistischen Kollegen funktioniert sehr gut, die Auseinandersetzung mit Kunde und Projektleitung variiert.
Autisten neigen glücklicherweise aufgrund ihrer oft traumatischen Lebenserfahrungen häufig dazu, Defizite von Kunden und Projektmanagement ausgleichen zu wollen, sodass Projekte bei gleichen Bedingungen hier häufiger erfolgreich sind als sie in anderen Firmen wären.
Kommunikation
auticon ist ein Unternehmen im Aufstieg und kommuniziert das auch an die Mitarbeiter.
In einer aktuellen Rede an die Belegschaft etwa arbeitete die Führungsriege heraus:
1. dass wir gerade schneller wachsen, als wir uns je darauf vorbereiten konnten,
2. dass wir in Q1 so viel Umsatz gemacht haben wie eigentlich in Q1 und Q2 zusammen geplant war,
3. dass wir aktuell viele Ausfälle wegen Depressionen und Burnout haben, die uns leider Umsatz kosten,
4. dass wir als Hauptmaßnahme jetzt _unbedingt_ den Fokus auf Umsatz legen müssen.
Kollegenzusammenhalt
Unter den autistischen Kollegen wird in aller Regel offen gesprochen, sodass man immer jemanden findet, der die eigene Perspektive auf den Führungsstil von Vorgesetzten nachvollziehen und validieren kann.
An Entscheidungen im operativen Geschäft sind Autisten in aller Regel nicht oder nur sehr begrenzt beteiligt.
Zu begrüßen ist, dass auticon bemüht ist, hier den Anschein von Mitsprache zu erwecken, indem ein Consultant-Rat eingeführt wurde, der die Teilnahme von zwei autistischen Vertretern im Lenkungsausschuss steuert. Inwiefern diese zwei Mitglieder dort als Bittsteller auftreten oder tatsächlich an Entscheidungen beteiligt werden, ist von unten m.M.n. nicht zu überschauen.
In einer aktuellen Rede an die Belegschaft stellte die geschlossen nicht-autistische Führungsriege glücklicherweise klar:
Es gibt keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei auticon. Autisten sind in jeder Hinsicht gleichgestellt und es wird da nicht unterschieden und man solle aufhören, den Anschein zu erwecken, als gäbe es da Diskrepanzen.
Work-Life-Balance
Arbeitszeiten konnte ich bisher relativ frei wählen. Wichtig war nur die Teilnahme an vereinbarten Meetings. Dies ist aber mitunter projektabhängig unterschiedlich.
Ich persönlich habe keinen externen Druck erlebt, Überstunden zu machen. Das passierte in meinem Fall immer indirekt, da ich selbst dazu neige, stressige Situationen durch Mehrarbeit auflösen zu wollen.
Es wird erwartet, dass man am Anfang des Jahres einen Großteil seines Urlaubs einreicht. Den zu nehmen ist in aller Regel unproblematisch.
Schwierig wird es, wenn die Projektleitung vom Kunden unter Druck gesetzt wird. In dem Fall passiert es gern, dass die Projektleitung diesen Druck an die Consultants weitergibt oder zumindest nur begrenzt dazu beiträgt, den vom Kunden direkt aufgebauten Druck zu reduzieren.
Ich musste mindestens einmal beobachten, wie einen Kollege zu nötigen versucht wurde, bereits genehmigten Urlaub doch nicht zu nehmen. Nicht, weil es im Projekt ein akutes Problem gab, das durch den Urlaubsverzicht zu lösen gewesen wäre, sondern weil man wegen einer akuten Konfliktsituation mit dem Kunden wie eine Truppe von Machern aussehen wollte.
Vorgesetztenverhalten
Vorgesetzte und Führungsriege sind stets bemüht, eine optimistische, freundliche, rücksichtsvolle, einfühlsame und zuvorkommende Ausstrahlung zu vermitteln.
Gleichberechtigung
auticon ist bemüht, sich von angestammten Stereotypen zu distanzieren. Einige Abteilungen werden von Frauen geführt. Die unmittelbare Geschäftsführung ist allerdings in den vergangenen Jahren signifikant männlicher geworden.
Umgang mit älteren Kollegen
Die Altersverteilung der Mitarbeiter ist mir unbekannt und demzufolge auch, ob statistisch eine Altersdiskriminierung bei der Einstellung erkennbar wäre. Ich würde davon ausgehen wollen, dass diese nicht stattfindet, bin aber zu dem Thema nicht sprechfähig.
Arbeitsbedingungen
Da ein Großteil der Mitarbeiter im Home Office sitzt, ist die Ausstattung der Büros beinahe irrelevant. Die Niederlassungen, die ich gesehen habe, sind hauptsächlich funktional eingerichtet.
Wenn ein Projekt eine besondere technische Ausstattung oder Software erfordert, erhält man diese auf Nachfrage weitestgehend problemlos.
Nachzubessern ist ggf. bei der Initialausstattung neuer Kollegen. Gebrauchte, ungereinigte Eingabegeräte und Headsets schrecken auf den ersten Blick ab, lassen sich aber privat ersetzen.
Umwelt-/Sozialbewusstsein
auticon reiht sich ein in die Unternehmen, die nach außen ein hohes Sozialbewusstsein kommunizieren. Das wird insbesondere durch die eigene Positionierung als sozialer Arbeitgeber ermöglicht, der Autisten zu Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt verhilft.
Diese Außenwirkung ist sehr effektiv und lockt neue Mitarbeiter an.
Von innen betrachtet unterscheidet sich auticon allerdings nicht grundlegend von anderen Consultingunternehmen.
Gehalt/Sozialleistungen
auticon bezahlt Consultants in aller Regel unterdurchschnittlich und begründet das - zu Recht oder nicht - implizit mit dem erhöhten Unterstützungsbedarf und Krankheitsrisiko bei autistischen Mitarbeitern.
Die von der Geschäftsleitung kommunizierten Gewinnzahlen deuten darauf hin, dass hier eine schrittweise Angleichung an branchenübliche Löhne möglich wäre. Das würde sich insbesondere mit dem eigenen Anspruch als sozialer Arbeitgeber decken.
Die Führungsriege kommuniziert seit Jahren, dass sie daran arbeitet, in mittlerer Zukunft die Gehaltsstruktur des Unternehmens transparenter machen zu wollen.
Image
auticon ist sehr erfolgreich damit, nach außen ein attraktives Image zu kommunizieren.
Karriere/Weiterbildung
auticon krankt ein bisschen daran, dass die Projektakquise und die Mitarbeiterverwaltung von einander getrennt zu sein scheinen. Häufig passiert es, dass Projekte eingeholt werden, die Kompetenzen benötigen, die in der Belegschaft entweder ganz fehlen oder in anderen Projekten gebunden sind.
Das Ergebnis ist, dass Mitarbeiter häufig in Projekten landen, die wenig mit dem zu tun haben, was sie vorher gemacht und vom dem sie Ahnung haben (Ausnahmen sind hier Projekte, in denen Projektmitglieder eingesetzte Technologien selbst bestimmen können und müssen).
Die Karrierepfade vieler Mitarbeiter haben dadurch häufig die Anmutung von Flickenteppichen.
Das ist vor allen Dingen deshalb schade, weil auticon von der Ausbildung klarer Kompetenzen profitieren würde. Spezialisten sind teurer zu verkaufen als Generalisten. Die Weiterbildung ist allerdings in meiner Erfahrung unstrukturiert.
Auticon versteht sich nicht als Experte für bestimmte Aufgaben, sondern begnügt sich damit, dass die autistischen Angestellten sich als Jacks Of All Trades schon den variierenden Anforderungen von Kunden anpassen werden. Das verschenkt echtes Potenzial.